In ihrem ersten Gastartikel erzählte euch Melinda im August ihre Gedanken zum Thema „kindergartenfrei“. Heute schreibt sie über Werte – und ganz besonders den Wert Gleichwürdigkeit.

gleichwürdigkeit leben

Neulich, im Laden…

Vor kurzem erlebten mein Mann, Boo und ich eine Situation in einem Geschäft, die mich nicht loslässt und zum Nachdenken brachte. Diese möchte ich heute mit euch teilen:

Wir waren auf der Suche nach einer Regenjacke für Boo, aber konnten im ersten Geschäft nichts Passendes finden. Da es dort einen Spieltisch gab, den Boo gerne bespielen wollte, blieben wir noch eine Weile, bevor wir uns weiter auf die Suche machen wollten. Dort waren Eltern ebenfalls auf der Suche nach Kleidung für ihr Kind. Der Junge war im ähnlichen Alter wie Boo. Die Eltern waren mit der Auswahl beschäftigt, während das Kind bei uns am Spieltisch saß und auch spielen wollte. Boo machte ein paar Anläufe das Kind in das Spiel mit zu integrieren, aber der Junge wurde stets von den Eltern aus der Ferne angehalten und ermahnt. Nach einiger Zeit kam der Papa dann an den Tisch und fragte sein Kind, ob es gehen möchte und als das Kind „nein“ sagte, erwiderte dieser mit „doch“, nahm den Jungen vom Stuhl und trug es weinend aus dem Geschäft.

Auch wenn ich solchen Situationen regelmäßig begegne und ich selbst oft über meine Kapazitäten schreite und ganz bestimmt nicht immer so entscheide, wie ich es mir wünsche, stimmte mich die Situation sehr traurig. Traurig für den kleinen Jungen und emphatisch für den Papa, der sich nicht anders zu helfen wusste.

Werte, Werte, Werte!

Als ich vor ungefähr drei Jahren beim Lesen von Jesper Juul und dem Blog „Der Kompass“ auf den Begriff „Werte“ stieß, wusste ich zunächst nicht so recht was damit gemeint ist und konnte keinen tieferen Sinn dahinter erkennen.

Abends lag ich häufig voller Gedanken im Bett und reflektierte all meine Widerstände, denen ich in anspruchsvollen Situationen (ähnlich der oben genannten Situation im Geschäft) begegnet bin und verglich diese mit meinen Wünschen. Darauf basierend stieß ich auf den Begriff des „inneren Kindes“ und realisierte wie essentiell Werte für mein Leben sind.

So stieß ich mit der Zeit auf unterschiedliche Werte: Achtsamkeit, Authentizität, Verantwortung, Gleichwürdigkeit, Liebe und wie sie alle heißen. Ich habe für mich feststellen dürfen, dass das Verständnis der Werte sehr individuell sein darf.

In diesem Artikel möchte ich meinen mit Abstand mir wichtigsten Wert thematisieren:

Gleichwürdigkeit

„Gleichwürdigkeit bedeutet nicht, dass die Führungsrolle zwischen Eltern und Kindern verteilt wird. Die Führung verbleibt natürlich bei den Eltern. Gleichwürdigkeit bedeutet vielmehr, dem Kind zu vermitteln, dass Menschen jeden Alters von gleichem Wert sind. Man respektiert gegenseitig die persönliche Würde und Integrität.“
JESPER JUUL

Für manche Menschen ist es selbstverständlich, das Erlebte weitergeben zu können, da das Erlebte mit den eigenen Werten übereinstimmt. Doch was passiert, wenn die eigene Wertevorstellung nicht dem Erlebten gleicht? Für mich, auf die letzteres zutrifft, ist es in manchen Situationen und Konflikten verdammt anspruchsvoll bei meinen Werten zu bleiben. Das hängt bei mir stark von der Tagesform ab. Denn wenn Erschöpfung und Müdigkeit phasenweise zu meinem Dauerzustand gehört, bedarf es meiner genauen Wachsamkeit und Achtsamkeit meiner alten inneren Stimme wenig bis keinen Raum zu geben, um klar bei mir bleiben zu können.

Doch warum ist die Umsetzung der eigenen Wertevorstellung anspruchsvoll und zeitweise erschöpfend?

Das ist immer ganz individuell. Ich habe für mich erkannt, dass die Lösung für einen gewaltfreien Umgang, in dem achtsamen Umgang mit einem selbst liegt.

Zum einen ist es die „Selbstliebe“. Überall wird davon gesprochen und darüber wie essentiell diese sei. Und dem stimme ich vollstens zu! Denn all das was wir uns für den Gegenüber wünschen, beginnt bei uns!

Zum anderen ist es auch die Gewaltfreiheit, die ich fühle, wenn ich über Gleichwürdigkeit nachdenke. Hier gilt: Wer gewaltfrei mit anderen umgehen möchte, beginnt damit gewaltfrei sich selbst gegenüber zu sein.

„Gewaltlosigkeit ist ausnahmslos der Gewalt überlegen, das heißt, die einem Gewaltlosen zu Gebot stehende Macht ist stets größer als jene, die er besäße, wenn er Gewalt anwendete.“
MAHATMA GANDHI

Wir können den Gegenüber akzeptieren, wenn wir uns selbst akzeptieren. Demnach können wir unseren Gegenüber nur dann nicht kritisieren, wenn wir uns selbst nicht kritisieren.

„Kritik ist ein Ausdruck von Schmerz.“
RUTH ABRAHAM

Die Kritik sagt etwas über den Menschen aus, der diese ausübt. Dort genauer hinzuschauen erfordert Mut und es ist mit Schmerz verbunden. Aber jede Mühe wert!

Wir können bedingungslos lieben, wenn wir uns selbst bedingungslos lieben. Und auch hier heißt es, dass ich meinen Gegenüber in seinem Sein nur annehmen kann, wenn ich mit mir selbst im Reinen bin.

Um auf die Situation im Geschäft zurückzukommen:

Auch ich befinde mich häufig in Situationen, in denen es zu einem Interessenkonflikt kommt, der ähnlich dem des Vaters im Geschäft ist. Wenn ich beispielsweise mit Boo am Nachmittag nochmal einen Abstecher auf den benachbarten Spielplatz mache und mich irgendwann der Hunger packt, Boo aber gerne noch bleiben möchte, ist unsere Lösung uns auf Augenhöhe zu treffen. Ich spreche mit ihm, wie ich das auch mit einem Erwachsenen tue und sage ihm, dass ich Hunger habe und noch genug Zeit brauche, um das Abendessen vorzubereiten und ich gerne gehen möchte.

Natürlich kann dann immer noch ein „nein“ kommen, was uns die Möglichkeit gibt, in Verbindung zu treten und Kompromisse zu schließen. Beispielsweise einigen wir uns darauf, wie oft Boo nochmal rutscht oder wie viele Minuten wir noch auf dem Spielplatz bleiben. Dann esse ich einen Riegel oder ähnliches, da ich sowieso immer eine Kleinigkeit im Rucksack habe. Manchmal singen wir ein Lied seiner Wahl auf dem Weg nach Hause und machen Quatsch dabei. Und dann gibt es auch Situationen, in denen ich auch mal nicht so kreativ bin und Boo Vorschläge macht. Egal wie es verläuft, ich bleibe auf unserem Weg der Liebe und begegne meinem Kind genauso gleichwürdig, wie ich jeder Person gleichwürdig begegne.

Ich bin tief davon überzeugt, dass wir es uns alle wert sein können, gewaltfrei mit uns sein zu dürfen!

Was sind deine Werte? Lebst du sie bereits? Wenn nicht, kannst du dein Leben deinen Werten anpassen?

Ich bin ganz gespannt auf deine Erzählungen.

Hab es gut,
deine Melinda

[su_note note_color=“#D8D8D8″ text_color=“#333333″ radius=“3″ class=““] Ich bin Melinda und 35 Jahre alt. Mit meiner kleinen Familie, die noch aus meinem Mann und unserem 3 jährigen Sohn „Boo“ besteht, leben wir in einer Großstadt. Wir sind der Natur sehr nah und wohnen auch am Waldrand. Im Wald verbringen wir unzählige Stunden und entdecken immer wieder etwas, dass uns begeistert. Die Schönheit der Natur ist unbeschreiblich! Dennoch sind Boo und ich gerne in der City unterwegs und nutzen den Luxus von Infrastruktur, Imbissen an jeder Ecke und Menschentrubel, wo wir nur hingucken. Ich finde es beschneidend mich auf einen oder einige wenige Begrifflichkeiten festzulegen, die unseren Lifestyle treffend beschreiben. Ob alternativ, bindungsorientiert, bedürfnisorientiert, öko. Es gibt so viele Schnittpunkte und wiederum gehen wir unseren eigenen Weg. Viel Spaß beim Lesen! Deine Melinda [/su_note]

Gleichwürdigkeit leben mit Kindern
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