Wie du vielleicht schon gelesen hast, organisiere ich Anfang September 2019 ein großes Vernetzungstreffen für Freilerner. Doch wer ist eigentlich damit gemeint? Nur Familien die ihre Kinder nicht in die Schule schicken? Ist Freilernen das gleiche wie Homeschooling? Und was bedeutet eigentlich Unschooling und Worldschooling? Ist Freilernen in Deutschland überhaupt möglich? Und warum sollte man das wollen? In meinem heutigen Artikel möchte ich auf diese Fragen eingehen und erzählen, was Freilernen für mich bedeutet.

Freilernen heißt für mich…

… sich frei zu entfalten und zu bilden. Frei im Sinne von, dass dir niemand sagt, was du zu lernen hast, sondern dass du einfach deinen Interessen nachgehen kannst. In diesem Sinne kann ein Mensch jeden Alters ein Freilerner sein. Kleine Kinder sind ganz automatisch Freilerner. Sie entdecken die Welt und lernen durch Neugierde und Nachahmung. Kinder wollen Dinge erreichen, also strecken sie sich danach und stehen irgendwann auf ihren eigenen Füßen. Sie wollen sich mitteilen und mit uns kommunizieren, also lernen sie irgendwann sprechen. Wenn sie größer werden, entwickeln sie irgendwann von ganz alleine Interesse an Buchstaben, Lesen und Schreiben.

Bei unserer Tochter Lavanda hat es mit ca. vier Jahren angefangen. Sie wollte wissen, wie die einzelnen Buchstaben heißen, und wie man sie schreibt. So lernte sie erst ihren Namen zu schreiben und dann andere Wörter. Heute ist sie fünfeinhalb, kennt alle Buchstaben und probiert sich immer wieder im Lesen und Schreiben aus. Einfach so, weil sie Lust hat. Wenn sie Fragen hat, gehen wir auf sie ein und erklären es ihr. Aber wir machen ihr keinen Druck.

Denn sobald wir einem Menschen Vorgaben machen, was er zu lernen hat und im schlimmsten Fall noch Zeitdruck damit verbunden ist, hört das Freilernen auf.

Für Kinder ist Spielen und Lernen noch eins. Ab dem Schulalter (oder der Vorschule) heißt es dann plötzlich: „Erst musst du lernen, dann darfst du spielen.“ Durch den Druck und die Vorgaben, die ihnen jegliche Kreativität nehmen, kann die Freude am Lernen bei Kindern schnell verloren gehen. Es kann nun nicht mehr selbst bestimmen, was es lernen möchte, sondern andere Menschen erlauben sich die Entscheidung darüber zu fällen, welches Wissen für das Kind wichtig ist und welches nicht.

Das Problem am deutschen Schulsystem ist…

… dass es alle noch so unterschiedlichen Kinder in das gleiche System steckt. Und dass Schule von Anfang an in den meisten Fällen viel mit Druck und Pflicht verbunden ist. Die wilde Kindheit ist vorbei, jetzt fängt der Ernst des Lebens an. So heißt es doch häufig. Leider gehen die individuellen Fähigkeiten von Kindern dadurch oft verloren. Denn in der Schule müssen alle den gleichen Stoff lernen. Dadurch gibt es „gute Schüler“, die Interesse oder Talent in dem jeweiligen Schulfach haben oder denen das Lernen allgemein leichter fällt und „schlechte Schüler“, deren Begabungen eben in anderen Bereichen legen, auf die in der Schulzeit kein Wert gelegt wird.

Die Problematik am staatlichen Schulsystem ist nicht unbekannt und deshalb gibt es inzwischen ja eine Vielzahl an alternativen Schulen. Ich selbst hatte das Glück auf einer Freien Waldorfschule gewesen zu sein. Und ich bin sehr froh darüber und würde meine Schulzeit auch insgesamt als „schön“ bezeichnen. Dennoch war auch ich, vor allem in der Oberstufe, unglücklich darüber, dass alle Schüler meiner Klasse die gleichen Prüfungen für die Fachhochschulreife und das anschließende Abitur ablegen mussten. Es machte und macht für mich einfach keinen Sinn. Gerade in der Oberstufe, wenn man schon weiß, welche Themen einem Freude bereiten oder vielleicht sogar schon einen Berufswunsch hat; warum darf man dann nicht entscheiden, von welchem Fach man mit Freude noch mehr lernen möchte und welches ungeliebte Fach man lieber nicht weiter belegen möchte?

Wenn schon alle das gleiche lernen müssen, warum gibt es dann nicht wenigstens Fächer wie „Glück“, „Selbstliebe“ oder „Achtsamkeit“, die wirklich für jeden Menschen auf seinem Lebensweg hilfreich wären?

Lernen, was Freude macht!

In meinem Fall war es so, dass mich schon immer die Geisteswissenschaften mehr interessierten als die Naturwissenschaften. Ich brannte schon immer mehr für kreative und künstlerische Fächer wie Buchbinden, Chor, Musik oder auch verschiedene Fremdsprachen.

Bio-Chemie dagegen interessierte mich zum Beispiel gar nicht! Und was bringt es mir heute, dass ich mir mehrere Jahre verzweifelt den vielen Stoff ins Hirn gepaukt habe, um ihn bei den Prüfungen wieder auszuspucken und kurz darauf wieder zu vergessen? Warum muss ich Dinge lernen, von denen ich mir relativ sicher bin, dass ich sie in meinem Leben nie wieder brauchen werde?

Und wenn doch, dann lerne ich sie halt neu. Aber dann mit dem Wissen, wofür! Und das ist doch der ausschlaggebende Punkt. Das WARUM! Wenn ich weiß, wofür ich etwas lernen will, bin ich motiviert und dann habe ich auch Freude daran und das Lernen geht sehr viel leichter und schneller. Außerdem kann ich Wissen sowieso viel besser behalten, wenn ich es auch einmal praktisch angewandt habe.

Ich kann ja nachvollziehen, dass manche die Schulpflicht in Deutschland als Errungenschaft sehen und dass wir in gewissem Sinne stolz darauf sein könnten, dass in Deutschland jedem Kind Bildung ermöglicht werden kann und soll. Doch die Frage ist: Zu welchem Preis?

Wenn ich mitbekomme, wie schon die Grundschüler aus unserer Nachbarschaft nachmittags nicht mehr zum Spielen rauskommen können, weil sie nach einem langen Schultag nochmal mehrere Stunden (!) an den Hausaufgaben sitzen oder für eine Klassenarbeit lernen müssen, macht mich das wirklich traurig. Ganz zu schweigen von all den Kindern, die Mobbing-Erfahrungen in ihrer Schulzeit aushalten müssen, die für schlechte Noten bestraft werden oder schon zu Schulzeiten durch den ständigen Druck und die Überforderung reinste Burn-Out-Erfahrungen machen müssen.

Viele Familien werden erst dann mit dem Thema freies Lernen konfrontiert, wenn die Kinder krank werden oder sich weigern, in die Schule zu gehen, weil sie dort schlechte Erfahrungen gemacht haben. Ich wünschte, es würde erst gar nicht so weit kommen.

Ist Homeschooling die Lösung?

Wer aus dem Schulsystem aussteigen möchte, kommt vielleicht zunächst mit dem Begriff Homeschooling oder Hausunterricht in Berührung. Homeschooling ist auch in den meisten europäischen Ländern erlaubt – nur leider in Deutschland nicht. Homeschooling bedeutet, dass das Kind zwar nicht in die Schule gehen muss, jedoch zu Hause dann in dem Schulstoff unterrichtet wird, bzw. ihn lernen muss. Das bedeutet, dass wir als Eltern unseren Kindern dann Mathe, Englisch, Physik und Co. beibringen müssen oder unsere Kinder beim Selbststudium unterstützen müssen. Soweit ich weiß müssen die Kinder dann häufig auch an externen Prüfungen teilnehmen, um ihren Wissensstand zu beweisen.

Für mich persönlich macht Homeschooling daher keinen Sinn. Dann geht mein Kind zwar nicht in eine Schule, aber ich muss ihm dafür zu Hause Druck machen. Und ich muss ihm vermutlich Dinge beibringen, die mich selbst gar nicht interessieren oder die ich (in der Oberstufe) sogar selbst weder verstehe noch gut erklären kann.

Was Unschooling und Worldschooling bedeutet

Unschooling ist quasi der englische Begriff für Freilernen. Er wurde von dem US-Amerikanischen Pädagoge und Autor John Caldwell Holt geprägt, der mehrere Bücher über selbstbestimmtes Lernen und Kinderrechte veröffentlichte.

Der Begriff Worldschooling wird von vielen Familien genutzt, die mit ihren Kindern reisen und ihnen (und sich selbst natürlich) so die Möglichkeit geben, überall auf der Welt Erfahrungen zu machen, zu leben und zu lernen.

Wie sieht Freilernen in der Praxis aus?

Freilernen in Deutschland ist durch die gesetzlichen Bestimmungen leider nicht so einfach. Viele Freilerner-Familien wandern deshalb in andere Länder aus. Andere nehmen behördliche Konfrontation und Bußgelder in Kauf.

Meine Töchter sind noch nicht im Schulalter, deshalb habe ich mit Freilernen im schulpflichtigen Alter noch keine persönlichen Erfahrungen. Doch wie oben schon geschrieben, ist Freilernen in jedem Alter möglich. Ich sehe meine Kinder daher schon heute als Freilerner. Wir leben kindergartenfrei und so können meine Kinder frei entscheiden, was sie wann lernen möchten und ich unterstütze sie dabei. Lavanda hat wie schon erwähnt bereits großes Interesse am Lesen und Schreiben und seit einigen Wochen möchte sie auch Klavier spielen lernen und tut das recht eigenständig mit meinen ersten Klaviernoten von früher.

Wie wir es machen, wenn unsere Kinder ins Schulalter kommen, ist noch offen. Für mich gehört zu Freilernen jedoch Gemeinschaft. Ich kann mir nicht vorstellen, meine Kinder in einer Umgebung schulfrei zu lassen, in der alle anderen Kinder jeden Morgen zur Schule gehen. Außerdem möchte ich weder versteckt leben noch mit den Behörden kämpfen.

Deshalb fände ich es toll, mit den Kindern zu reisen oder in einer Freilerner-Community zu leben. So können sich die Kinder auch von verschieden Menschen inspirieren lassen und nicht nur von mir. Denn was ist, wenn sich meine Kinder für Bio-Chemie interessieren 😉 oder für den Beruf Tierpflegerin? Was wenn eine Architektin und die andere Friseurin werden will? In diesen Bereichen kann ich ihnen nicht sonderlich viel beibringen und würde mir daher wünschen, dass sie von anderen Erwachsenen lernen können. Toll wäre eine lebendige Gemeinschaft, in der es für die Kinder möglich ist, an verschiedenen Projekten teilnehmen zu können und so verschiedene Themen und Berufe kennenzulernen.

Buchtipps zum Thema Freilernen

Wenn du von Freilernen im schulpflichtigen Alter mehr lesen möchtest, empfehle ich dir folgende Bücher, die ich selbst gelesen habe:

In dem Buch „Wir sind so frei: Freilerner-Familien stellen sich vor“*, erzählen zum Beispiel viele Eltern, deren Kinder die Schule verweigerten, dass sie zunächst mit Homeschooling begannen, bevor sie dann merkten, dass der Zwang dadurch nicht aufhörte und sich oft nur die Eltern-Kind-Bindung verschlechterte, weil die Eltern jetzt diejenigen waren, die den Druck ausübten. So kamen sie zum Freilernen.


Der vielleicht bekannteste Freilerner André Stern berichtet in seinem Buch „…und ich war nie in der Schule: Geschichte eines glücklichen Kindes“* von seiner schulfreien Kindheit in Frankreich und davon, wie er ganz ungestört seine Talente entdecken und entfalten konnte.


Infos zum Freilernen in Deutschland

Wenn du mehr Informationen zum Thema Freilernen suchst und darüber, wie dein Kind auch in Deutschland ohne Schule lernen kann, schau dir folgende Websites und Initiativen an:

Freilernen an Schulen?

Es gibt immer mehr Schulgründungs-Initiativen in Deutschland, die sich dafür einsetzen, dass Kinder frei lernen dürfen – ohne Druck durch Noten und verpflichtenden Unterricht. Eine gute Anlaufstelle zum Auffinden dieser Schulen sind folgende Seiten:

Vernetze dich!

Falls du dich für das Thema Freilernen interessierst, empfehle ich dir, dich mit Gleichgesinnten zu vernetzen. Denn du musst damit rechnen, aus deinem Umfeld teilweise großes Unverständnis oder harte Kritik zu bekommen, falls du deine Kinder nicht auf die Schule schicken möchtest.

Triffst du dagegen andere Familien, deren Kinder bereits freilernen, kannst du von ihren Erfahrungen profitieren, dich mit ihnen austauschen und euch vernetzen.

Die größten Vernetzungstreffen für Freilerner, die ich kenne, sind dieses Jahr:

Für alle, denen diese Festivals zu weit weg oder zu groß sind, gibt es…

Fazit

Freilernen ist ein spannendes Thema, das mich sicherlich noch mein Leben lang begleiten wird. Jetzt würde mich interessieren, wie du dazu stehst?

Gibt es unter meinen Leserinnen vielleicht sogar Familien, die bereits frei leben und lernen oder mit ihren Kindern durch die Welt reisen? Ich würde mich sehr über euren Kommentar unter dem Artikel freuen! 🙂

Zu meinem Vernetzungstreffen im September sind auf jeden Fall alle Familien mit großen und kleinen Kindern eingeladen, die bereits frei lernen oder sich auch nur für das Thema interessieren!

Alles Liebe,
deine Sophie

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Was heißt eigentlich Freilernen?
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